Nachfolgend haben wir einige der am häufigsten gestellten Fragen zur Uppsala-Erklärung zusammengestellt.
Wer kann die Uppsala-Erklärung unterzeichnen?
Jede Person, die im deutschen Hochschul- und Forschungsbereich arbeitet, egal ob bezahlt oder unbezahlt, kann die Uppsala-Deklaration unterschreiben. Dazu gehören auch Promovierende. Darüber hinaus sind deutsche Wissenschaftler*innen im Ausland willkommen zu unterschreiben.
Wer hat die Uppsala-Erklärung verfasst?
Die deutsche Version der Uppsala Erklärung wurde von einem Kollektiv von Wissenschaftler*innen in Deutschland verfasst. Die ursprüngliche Inspiration kam von der Uppsala Declaration schwedischer Kolleg*innen (uppsaladeclaration.se).
Warum haben Sie die Uppsala-Erklärung verfasst?
Nach fast zwei Jahren beispiellosen Tötens, Verstümmelns und Aushungerns der belagerten Bevölkerung des Gazastreifens ist es dringend erforderlich, dass wir uns mit unserer eigenen Rolle bei der Zerstörung Palästinas und des palästinensischen Volkes durch Israel auseinandersetzen. Wir sind den Prinzipien des humanitären Völkerrechts und nicht minder dem Wert und der Würde des menschlichen Lebens verpflichtet. Wir sind der Ansicht, dass deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Zusammenarbeit mit dem israelischen Staat und allen israelischen Institutionen einstellen sollten, die an illegaler Besatzung, Apartheid, Völkermord und anderen Verstößen gegen das Völkerrecht beteiligt sind und diese aufrecht erhalten. Solange unsere deutschen Institutionen weiterhin mit dem israelischen Staat und israelischen Institutionen, darunter israelischen Universitäten und Forschungszentren, zusammenarbeiten, die für die illegale Besatzung, Apartheid und deren ideologische Begründung mitverantwortlich sind, lehnen wir die Teilnahme an solchen Kooperationen aus Gewissensgründen ab.
Was erhoffen Sie sich von der Uppsala-Erklärung?
Durch das Sammeln von Unterschriften von Lehrenden und Mitarbeitenden deutscher Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie deutscher Wissenschaftler*innen im Ausland und die Beendigung unserer eigenen Teilnahme an Kooperationen mit israelischen Institutionen, die in die Zusammenarbeit verwickelt sind, hoffen wir 1) unseren institutionellen Führungskräften zu zeigen, dass es innerhalb unserer Gemeinschaft eine starke und prinzipielle Unterstützung für die Aussetzung der Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen gibt, die in die Zusammenarbeit verwickelt sind, 2) Druck auf unsere Führungskräfte auszuüben, unserem Beispiel zu folgen und die formelle Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen, die in die Zusammenarbeit verwickelt sind, so lange auszusetzen, bis diese das Völkerrecht umfassend und nachweislich einhalten und 3) Druck auf israelische Institutionen auszuüben, ihre Verwicklung in Besatzung, Apartheid und Völkermord kritisch in den Blick zu nehmen und aufzugeben. Die Erfahrungen der Kolleg*innen in Schweden zeigen, dass dieser Schritt Wirkung hat.
Inwiefern sind israelische Universitäten an illegaler Besatzung, Apartheid, Völkermord und anderen Verstößen gegen das Völkerrecht beteiligt?
Israelische Universitäten sind seit langem wichtige, willige und beharrliche Komplizen israelischer Verstöße gegen das Völkerrecht und spielen eine aktive Rolle bei der Planung, Umsetzung, Befürwortung und Rechtfertigung illegaler Besatzung, Apartheid und nun auch Völkermord. Israelische Universitäten pflegen institutionelle Kooperationen mit dem israelischen Militär und den Sicherheitskräften: Sie betreiben Militärstützpunkte und -einrichtungen auf dem Campus, bilden Soldat*innen und Sicherheitskräfte in spezialisierten Studiengängen aus, entwickeln Waffen und Überwachungstechnologien für Kriegsverbrechen in den besetzten Gebieten und anderswo und entwickeln militärische und juristische Doktrinen, die der israelische Staat nutzt, um seine illegale Besatzung, ethnische Säuberungen und außergerichtlichen Tötungen von Palästinenser*innen durchzusetzen, aufrechtzuerhalten und zu rechtfertigen. Sie diskriminieren außerdem systematisch ihre palästinensischen Studierenden und Mitarbeitenden und verweigern ihnen ihre akademische Freiheit (Wind 2024). Die Universität Tel Aviv beispielsweise hat Waffensysteme entwickelt, die Israel gegen Kinder und andere Zivilist*innen im Gazastreifen einsetzt, und arbeitet mit der israelischen Regierung, dem Militär und der Rüstungsindustrie zusammen, um Doktrinen und Technologien zu entwickeln, die gezielt palästinensische und libanesische Zivilist*innen sowie zivile Infrastruktur angreifen. Die Hebräische Universität Jerusalem wiederum hat einen Teil ihres Campus auf illegal besetztem palästinensischem Land in Ostjerusalem errichtet.
Könnte die Aussetzung der Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen die Wissenschaftsfreiheit beeinträchtigen? Und schadet diese Initiative nicht gerade diejenigen in Israel, die sich für Frieden und Gleichberechtigung einsetzen?
Wir und andere rufen nicht zur Aussetzung der Zusammenarbeit mit einzelnen Wissenschaftler*innen aufgrund ihrer Identität sondern zu einer prinzipiellen Aussetzungen der Zusammenarbeit mit Institutionen auf, die auf dokumentierter Komplizenschaft beruhen. In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz fordert die Uppsala-Erklärung nicht die Beendigung des Kontakts mit israelischen Wissenschaftler*innen, solange diese nicht in Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt sind und/oder diese befürworten, und solange dieser Kontakt keine mitverantwortliche israelische Institution betrifft. Die Aussetzung der institutionellen Kooperation zielt darauf ab, internationalen Druck auf israelische akademische Institutionen aufzubauen, ihre Mitverantwortlichkeit für Israels Unterdrückungssystem gegen das palästinensische Volk zu beenden. Dies hat sich bereits als wirksam erwiesen, da die zunehmende Zahl internationaler akademischer Institutionen, die ihre Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen aussetzen, zu verstärkten Forderungen israelischer Wissenschaftler*innen geführt hat, die Beteiligung ihrer Institutionen an israelischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beenden.
Es gab in den letzten Monaten immer wieder Aufrufe von u.a. israelischen Wissenschaftler*innen, die mehr Druck von Außen auf ihre Institutionen gefordert haben. Diese Gruppe ist eine Minderheit, die die Verstrickung der eigenen Institutionen erkannt hat und agiert. Ende Juli 2025 haben zwei große israelische Nichtregierungsorganisationen, B‘Tselem und Physicians for Human Rights, öffentlich deutlich ausgesprochen, dass Israel einen Völkermord durchführt. Beide Organisationen unterstreichen, dass Israels Bündnispartner eine Mitverantwortung tragen. Ein Vertreter sagte: “Every tool in the toolbox should be used. This is not what we think, this is what the genocide convention calls for.” Unsere Initiative stärkt durch die Aussetzung der Kooperationen mit mitverantwortlichen Institutionen vor allem diese Stimmen.
Nicht die israelische, sondern die palästinensische Wissenschaftsfreiheit ist derzeit in Gefahr. Während Bildung und Forschung im Westjordanland seit langem stark eingeschränkt sind und Campusse zunehmend vom israelischen Militär überfallen werden, ist der gesamte Bildungs- und Forschungssektor im Gazastreifen vollständig zerstört. Israel greift gezielt und systematisch Schulen an und zerstört sie. Im vergangenen Jahr wurde die Zerstörung sämtlicher Universitäten abgeschlossen. Tausende Forschende, Lehrende und Studierende wurden von Israel getötet, verstümmelt oder illegal eingesperrt. Keine israelische Universität hat die israelische Regierung aufgefordert, die Zerstörung der palästinensischen Hochschulbildung einzustellen.
Wäre es nicht besser, Dialog und Diplomatie zu fördern?
Diplomatische Bemühungen scheitern seit Jahrzehnten, gerade weil die mehr oder weniger bedingungslose Unterstützung Israels durch westliche Regierungen für die Israelis keinen wirklichen Anreiz bietet, die illegale Besatzung Palästinas und die gewaltsame Unterdrückung des palästinensischen Volkes zu beenden. Im Gegensatz dazu zeigt die Rolle des internationalen Boykotts im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika, dass der externe Druck den Dialog nicht behindert, sondern politische Entscheidungsträger*innen an den Verhandlungstisch zwingen kann.
Warum sollten wir nur die Beziehungen zu israelische Institutionen aussetzen?
Israel ist nicht das einzige repressive Regime der Welt, die Palästinenser*innen sind nicht das einzige unterdrückte Volk, und Gaza ist nicht der einzige Ort, an dem Zivilist*innen von Streitkräften angegriffen und ausgehungert werden. Israel ist jedoch das einzige Land, in dem deutsche Universitäten aktiv mit mitverantwortlichen Institutionen zusammenarbeiten, obwohl die Führung dieses Staates vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht wird und der Staat selbst in einem laufenden Verfahren des Völkermords vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) angeklagt ist. Mitarbeitende der UN sowie führende Völkerrechtsexper*tinnen und Menschenrechtsorganisationen haben dokumentiert, dass Israels anhaltender Völkermord in Gaza beispiellos ist – im Hinblick auf das Ausmaß und die Intensität der Zerstörung und Zwangsvertreibung, den Einsatz von Hunger als Waffe, die Zahl der von Streitkräften getöteten UN-Mitarbeitenden, Gesundheitsfachkräfte und Journalist*innen usw. Er ist auch insofern beispiellos, als israelische Soldat*innen und Offizier*innen ihre eigenen Verbrechen dokumentieren und offen damit prahlen. UN-Menschenrechtsexper*tinnen zufolge umfasst Israels Völkermord in Gaza „Domizid, Urbizid, Scholastizid, Medizid, kulturellen Völkermord und in jüngster Zeit auch Ökozid“. Seit über zwei Jahrzehnten rufen Palästinenser*innen die internationale Wissenschaft dazu auf, in einem Akt der Solidarität Haltung einzunehmen. Es ist wichtig, dass wir ihrem Aufruf folgen oder zumindest keinen Schaden anrichten, indem wir die gewaltfreie Streikpostenkette nicht durchbrechen.
Verurteilen Sie Antisemitismus?
Selbstverständlich. Wir verurteilen jede Form von Rassismus, einschließlich antijüdischem, antimuslimischem und antipalästinensischem Rassismus. Kritik am Staat Israel fälschlicherweise als Antisemitismus zu bezeichnen, ist jedoch eine Taktik die dazu führt, die Ablehnung des Völkermords, der illegalen Besatzung und der Apartheid zum Schweigen zu bringen. Nach der Verabschiedung der Bundestagsresolution “Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben schützen, bewahren und stärken“ haben jüdische Organisationen weltweit in einem offenen Brief die Resolution abgelehnt und darauf hingewiesen, dass „die zynische Instrumentalisierung des Antisemitismus […] aber auch alle Jüdinnen und Juden zu Geiseln [macht], deren Sicherheit als Vorwand für die Verfolgung anderer Minderheiten benutzt wird“. Die Organisationen unterstreichen dabei, dass die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance von Antisemitismus (IHRA-Definition), die der Bundestagsresolution zu Grunde liegt, von vielen Wissenschaftler*innen grundsätzlich kritisiert und abgelehnt wird. Einer der Hauptautor*innen der IHRA-Definition, Kenneth Stern, hat seine Bestürzung darüber geäußert, dass die Definition dazu verwendet wird, um Widerstand gegen israelische Politik zu ersticken.
Die Vermischung von antijüdischem Rassismus mit dem Widerstand gegen Israels Besatzungs- und Apartheidsystem untergräbt sowohl den palästinensischen Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit als auch den Kampf gegen tatsächlichen Antisemitismus. Sie dient zudem dazu, Israel davor zu schützen, sich an universelle Menschenrechts- und Völkerrechtsnormen zu halten.
Gibt es in anderen europäischen Ländern ähnliche akademische Initiativen gegen Israel?
Ja. Sechs norwegische Universitäten – OsloMet, die Universität Südostnorwegen, die Universität Bergen, die Architekturhochschule Bergen, die Nord University und die Universität Stavanger – haben nach und nach seit Januar 2024 ihre Zusammenarbeit mit mitverantwortlichen israelischen Institutionen ausgesetzt. Im Mai 2024 beschloss der Vorstand der Rektorenkonferenz der spanischen Universitäten (CRUE), der 76 Universitäten in Spanien vertritt, die Beendigung der Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten. Im selben Monat setzte die Universität Helsinki ihre Austauschabkommen mit israelischen Universitäten aus. Fünf niederländische Universitäten – die Universität Amsterdam, die Radboud-Universität, die Universität Utrecht, die Universität Tilburg und die Erasmus-Universität Rotterdam – setzten im Mai und Juni 2025 verschiedene Kooperationen mit beteiligten israelischen Universitäten aus. Im Juni 2025 gingen das Trinity College Dublin und die Queen’s University Belfast noch weiter als andere westliche Universitäten und kündigten an, nicht nur alle Beziehungen zu israelischen Universitäten, sondern auch zu israelischen Unternehmen abzubrechen.
Trifft eine Verweigerung institutioneller Kooperationen nicht zwangsläufig auch – und womöglich ungerechtfertigt – Einzelpersonen?
Die Uppsala-Erklärung setzt bei Strukturen und Institutionen an, um Druck auf israelische Institutionen auszuüben, ihre Verwicklung in Besatzung, Apartheid und Völkermord kritisch in den Blick zu nehmen und aufzugeben. Damit wollen wir auch ein Signal an deutsche Institutionen senden, ihre Verantwortung oder sogar Komplizenschaft kritisch zu überdenken und entsprechend zu handeln. Nur institutioneller und struktureller Druck kann dauerhaft etwas bewirken und ändern. Diese historische Verantwortung kollektiv zu übernehmen, etwas als Wissenschaftler*innen tun zu können, dazu laden wir alle Kolleginnen und Kollegen ein. Wir denken, dass wir alle als Wissenschaftler*innen diese Verantwortung tragen. Die Erklärung spricht sich nicht gegen Einladungen, Reisen, Kooperationen auf individueller Ebene aus.
Den eventuellen Schaden, den individuelle israelische Wissenschaftler*innen durch die Verweigerung institutioneller Zusammenarbeit und damit auch institutioneller Förderung durch Gelder aus Deutschland und der EU erleiden könnten, ist im Vergleich zur vollständigen Vernichtung der Bildungsinfrastruktur im Gazastreifen und der massiven Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und des Rechts auf Bildung im Westjordanland (einschließlich Ostjerusalem) durch die illegale israelische Besatzung begrenzt: Israelische Wissenschaftler*innen verlieren zum Beispiel die Möglichkeit, institutionalisierte Wissenschaftsförderung aus Deutschland in Anspruch nehmen zu können. Jedoch ist diese Förderung kein prinzipielles Recht und immer auch an die Einhaltung von Gesetzen und ethischen Grundsätzen gebunden.
Das Argument, Nichtkooperation mit israelischen Institutionen, die an illegaler Besatzung, Apartheid, Völkermord und anderen Verstößen gegen das Völkerrecht beteiligt sind, treffe doch Individuen und verunmögliche Wissenschaft, übersieht, dass Individuen eben auch immer Teil von historisch-gesellschaftlichen Strukturen sind und nicht isolierte Inseln.
Manche, wie der Historiker José Brunner, argumentieren, dass Boykotte von Waren ein legitimes Mittel seien, dieselbe Aktionsform in der Wissenschaft hingegen auf einen „Boykott gegen Menschen und ihre Gedanken und Ideen“ hinauslaufe und dies auf Abschaffung von Wissenschaftsfreiheit hinauslaufe. Ist das ein Risiko, wenn ich unterschreibe?
Der Boykott von Waren hat ebenfalls massive Auswirkungen auf Menschen und zwar auf diejenigen, die aus der Produktion, dem Verkauf und dem Handel mit den Waren ihren Lebensunterhalt beziehen. Die Aussetzung der Zusammenarbeit mit mitverantwortlichen israelischen Institutionen hingegen behindert israelische Wissenschaftler*innen nicht in ihren Grundtätigkeiten: Sie können weiterhin Wissenschaft betreiben. Jedoch werden sie gezwungen sich an Völkerrecht und ethische Grundsätze wie die universal gültigen Menschenrechte zu halten. Auch ist ihre Anstellung im israelischen Wissenschaftsbetrieb nicht gefährdet: Wir fordern keine Abschaffung der Wissenschaft in Israel. Wir fordern vielmehr, dass sich israelische Institutionen wie alle Institutionen weltweit auch an internationales Recht und Menschenrechte halten sowie ihrer ethischen Verantwortung als Wissenschaftler*innen gerecht werden. Die Aussetzung der Zusammenarbeit geschieht auf Basis nachweisbarer Verantwortung für die Verletzung zwingenden Völkerrechts und nicht pauschal und willkürlich. Die Wissenschaftsfreiheit findet in jedem Fall dort ihre Grenzen, wo sie Verletzungen zwingenden Völkerrechts (sog. ius cogens wie etwas die Genozidkonvention) mitverantwortet oder gar unterstützt. Die historischen Erfahrungen zeigen, dass Wissenschaftler*innen und wissenschaftliche Institutionen auch in demokratischen Gesellschaften schwerste Menschenrechtsverbrechen gutgeheißen, legitimiert, mitgetragen und sogar direkt verantwortet haben. Es gibt daher keinen Anlass, die Wissenschaftsfreiheit über alle anderen Freiheitsrechte, ethischen Grundprinzipien und über die Bindung an zwingendes Völkerrecht zu stellen.
Ist das nicht Boykott, was die deutsche Uppsala-Erklärung fordert? Und darf man das als Deutsche/r mit der Geschichte des Boykotts, den das nationalsozialistische Regime gegenüber deutschen Jüdinnen und Juden durchgeführt hat, gegenüber israelischen Institutionen fordern? Ist das nicht antisemitisch?
Das nationalsozialistische Regime hat im „Dritten Reich“ Begriff und Praxis des Boykotts auf perverse Weise missbraucht, indem sie, einen zentralen antijüdischen Topos aufgreifend, „den Juden“ eine übergroße Macht zusprach, wohingegen tatsächlich das NS-Regime die eigentliche Macht innehatte. Historisch waren Boykotte bzw. die Verweigerung von Kooperation immer das Mittel der strukturell Schwächeren. Man denke hier etwa an die von Mahatma Gandhi angeleitete Bewegung der Nichtkooperation und des zivilen Ungehorsams in Indien in den frühen 1920er Jahren. Das nationalsozialistische Regime hat diese Logik in tödlicher Weise umgedreht. Darüber wurden Jüd*innen im Nationalsozialismus aufgrund ihrer Identität zunächst boykottiert und dann vernichtet. Den Begriff Boykott allgemein in der Weise zu deuten, wie es der Nationalsozialismus getan hat, führt in die Irre.
Die Grundlage der Uppsala Erklärung ist eine andere: Was zählt, sind Handlungen israelischer Institutionen und nicht die sich selbst oder von anderen zugeschriebenen Identitäten israelischer Wissenschaftler*innen als jüdisch, atheistisch, säkular, muslimisch, buddhistisch und so weiter.
Zwei aktuelle Beispiele, in denen Boykott als Form von Nichtkooperation als unproblematisch gilt: Im August 2025 boykottierten einige demokratische US-Politiker*innen durch Ausreise eine Abstimmung zur Neukartierung von Wahlbezirken, weil damit republikanische Politiker*innen künftige Wahlen zu ihren Gunsten beeinflussen wollen, so der begründete Vorwurf. In der EU formiert sich seit März 2025 die Kampagne “Buy from EU”. Sie ruft dazu auf, US-Produkte zu boykottieren und auf europäische Alternativen zurückzugreifen.
Kritische Wissenschaftlerinnen sind in Bezug auf das Wissenschaftssystem und seine Institutionen oft die Schwächeren, da die Institutionen als Behörden eine viel größere Regulierungsmacht besitzen. In Bezug auf den Scholastizid in Gaza und die Verunmöglichung von Bildung und Wissenschaft im Westjordanland sind palästinensische Kinder, Studierende und Wissenschaftler*innen die Schwächeren. Sie leiden unter der illegalen Besatzungsmacht und dem Genozid. Wir stehen, erstens, für deren Rechte ein. In Bezug auf Wissenschaftler*innen in Israel stehen wir genau für die Rechte derer ein, die wie wir für Gleichberechtigung und internationales Recht einstehen. Drittens, unterstützen wir mit der Erklärung ein Verständnis von Wissenschaft als regelgeleiteten Raum, in dem alle zu schützen sind.
Überschreiten die Forderungen der Erklärung nicht das Maß legitimer Kritik an Israel?
Was in Deutschland als legitime Kritik gilt und was nicht, ist vorgeformt durch den Diskurs der deutschen Staatsraison. Dieser identifiziert gemäß ethnonationaler Logik Judentum mit dem israelischen Staat und Zionismus. Jedwede Kritik an israelischen Institutionen und den Staat Israel selbst kann deshalb schon als Antisemitismus interpretiert werden. Wir wenden uns gegen diese Verflachung, Homogenisierung und ethnonationale Lesart von Geschichte. Wenn jene Elemente, wie auch von vielen Vertreter*innen der jüdischen Tradition argumentiert, nicht in eins zu setzen sind, ist ihre Identifikation in der Staatsraison demnach fehlgeleitet. In diesem Fall ist dann auch der automatische Antisemitismus-Vorwurf gegenüber Kritik an Israel und der Verweigerung der Zusammenarbeit – wie etwa Aussetzung von Kollaborationen oder institutionellen Boykotten – logisch nicht tragfähig.
Darüber hinaus müssen Nationalstaaten kritisierbar sein und bleiben! Alles andere birgt die Gefahr der Überhöhung eines rassisch gedachten und imaginierten Volkes (“Nation”) und naturalisiert die historisch gesehen junge Idee der Nation, des Nationalismus. Die Vorstellung, dass jede Nation oder Rasse (selbst konstruierte Einheiten) nach einen Staat zu streben hat, führt immer wieder zu Diskussionen über die vermeintliche Reinheit des Volkes. Im besten Fall werden so genannte fremde (nicht-völkische) Elemente im an Bedingungen geknüpft toleriert und im schlimmsten Fall ausgemerzt.
Gibt es nicht auch Kritik am Genozid in Gaza seitens israelischer Universitäten und akademischer Institutionen? Sollte man sie nicht eher institutionell stärken als Kooperationen mit ihnen infrage zu stellen?
Es wurden in letzter Zeit einige offene Briefe veröffentlicht. Insbesondere wurden die Briefe vom Steering Committe der Israel Young Academy an den israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu vom 29.07.2025 und von den Präsidenten der Tel Aviv University, des Weizmann Institute of Science, der Hebrew University, der Open University of Israel und des Technions in Haifa an den gleichen Adressaten international zur Kenntnis genommen. Diese Briefe wurden 22 Monate nach dem Beginn des Genozids und am Tag bzw. kurz nach der Bekanntgabe der EU-Kommission, die teiweilse Aussetzung der Teilnahme Israels an der EU-Forschungsförderung Horizon zu empfehlen, veröffentlicht.
Die Israel Young Academy fordert Netanyahu auf,
- To bring the war to an end and secure the release of the 50 hostages
- To refrain entirely from harming civilians
- To ensure the uninterrupted provision of humanitarian aid to Gaza’s civilian population
- To pursue an honest and lasting political agreement that promotes regional peace
Die fünf Universitätspräsidenten “call on [Netanyahu] to instruct the IDF and other security forces to intensify efforts to address the severe hunger crisis currently afflicting the Gaza Strip, regardless of the heavy responsibility borne by Hamas and other culpable parties.”
Während alle diese Forderungen für sich genommen zu begrüßen sind, bleiben sie unvollständig und aus mehreren Gründen problematisch:
Die nach zwingendem Völkerrecht geltenden Pflichten Israels (sofortige Beendigung der Besatzung, Abschaffung der Apartheid (“Rassentrennung”), Beendigung des Genozids, die Rückgabe illegal annektierter Gebiete und der Zahlung von Reparationen) werden mit keinem Wort erwähnt. Es werden irreführende Bezeichnungen wie “Krieg” für die Situationsbeschreibung genutzt. Dies entspricht nicht den vorliegenden Fakten, denen zufolge eine nuklear hochgerüstete Besatzungsmacht nach Expert*innenmeinung einen Genozid an der besetzten Bevölkerung durchführt. Die Sprache verschleiert die strukturelle Verantwortung Israels als Besatzungsmacht und die in diesem Rahmen maßgeblichen Verletzungen des Völkerrechts. Mehr noch, die alleinige Schuld wird der Hamas zugeschrieben. Das grausame Schicksal der verbleibenden 50 israelischen Gefangen wird erwähnt, während die tausenden palästinensischen Gefangen, Apartheid, Genozid, illegale und gewaltsame Annektion besetzter Gebiete und der unermessliche Schaden für das palästinensische Volk verschwiegen werden. Palästinensische Gefangene werden nachweislich in israelischen Lagern gefoltert, vergewaltigt und ermordert. Beide Brief beschreiben die gegenwärtige Situtation mit irreführende Bezeichnungen wie “Krieg”. Dies entspricht nicht den vorliegenden Fakten, denen zufolge eine nuklear hochgerüstete Besatzungsmacht nach Expert*innenmeinung einen Genozid an der besetzten Bevölkerung durchführt. Die Sprache verschleiert die strukturelle Verantwortung Israels als Besatzungsmacht und die in diesem Rahmen maßgeblichen Verletzungen des Völkerrechts. Mehr noch, die alleinige Schuld wird der Hamas zugeschrieben. Palästinenser*innen kommen in beiden Briefen als Gruppe nicht vor. Lediglich die Hamas findet Erwähnung.
Dementensprechend äußern sich die Vertreter*innen, die im Namen von Institutionen sprechen, nicht zu ihrer eigenen Verantwortung und Komplizenschaft etwa in Form der intensiven Zusammenarbeit mit dem israelischen Militär, der ideologischen Legitimierung von Völkerrechtsverletzungen oder der Marginalisierung und Verdrängung von Forschung zur Nakba (die gewaltsame Vertreibung von und massive Gewalt gegen Palästinenser*innen im Zuge der ethnischen Säuberung während der Monate vor und nach der Staatsgründung Israels 1948). Die Verleugnung der eigenen Verantwortung als Institution innerhalb einer Besatzungsmacht führt dazu, dass die gezielte von Israel herbeigeführte Aushungerung als Naturkatastrophe ohne spezifische Urheberschaft dargestellt wird: “severe hunger crisis afflicting the Gaza Strip” (siehe obiges Zitat aus dem Brief der fünf Universitätspräsidenten). Als Besatzungsmacht hat Israel seit der Abriegelung des Gazastreifens seine Kontrolle über die Einfuhr von Nahrungsmitteln strategisch zur Kollektivbestrafung der Palästinenser*innen eingesetzt. Israel hält gegenwärtig systematisch und allumfänglich Nahrung und medizinische Produkte zurück.
Maßgeblich ursächlich für das Leid, auch der besetzenden Bevölkerung, sind gewaltsame und illegale Besatzung, das Apartheidsystem und die Verweigerung der Gleichheit von und des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser*innen. Im Gegensatz zu den offiziellen Repräsentant*innen dieser israelischen Institutionen, haben Ende May 2025 mehr als 1.200 israelische Akademiker*innen aus unterschiedlichen Gründen unter dem Namen “Black Flag Action Group” in ihrem offenen Brief das Leiden der palästinensischen Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt und ihre Institutionen aufgefordert, alles möglich zu tun, um die von Israel ausgehenden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen. Dabei erkennen sie die gesamtgesellschatliche Mitverantwortungen für die Verbrechen an:
It is human societies, not governments alone, that commit crimes against humanity. Some do so by means of direct violence. Others do so by sanctioning the crimes and justifying them, before and after the fact, and by keeping quiet and silencing voices in the halls of learning. It is this bond of silence that allows clearly evident crimes to continue unabated without penetrating the barriers of recognition.
Neben den palästinensischen Wissenschaftler*innen, gilt auch diesen innerhalb der israelischen Gesellschaft und ihrer akademischen Institutionen marginalisierten israelischen Wissenschaftler*innen unsere Solidarität. Die Aussetzung der Zusammenarbeit mit ihren mitverantwortlichen Institutionen stärkt nicht nur ihre Stimme, sondern folgt auch ihren Forderungen (siehe hier und hier).